4. März 2022

BVerwG-Urteil: Immobilien-Vorkaufsrecht falsches Instrument für Milieuschutz

Wir hatten uns bereits im April 2019 in einem Blogbeitrag mit dem Thema Erhaltungssatzung für den Milieuschutz befasst, greifen dies aber aus aktuellem Anlass noch einmal auf: Im November des letzten Jahres hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) nämlich dem bis dato praktizierten Immobilien-Vorkaufsrecht der Kommunen ein Ende gesetzt. Hier die wichtigsten Informationen für Sie zusammengefasst.
 

Besonderes Städtebaurecht – die Erhaltungssatzung

Die Erhaltungssatzung zielt darauf ab, die Bevölkerung eines bestimmten Wohngebietes in ihrer Zusammensetzung zu bewahren – es geht also, wie in unserem Blogbeitrag „Immobilienerwerb in Erhaltungsgebieten – was Käufer wissen sollten“ aus dem April 2019 beschrieben, um den sogenannten Milieuschutz. Der darf mit Hilfe des gemeindlichen Vorkaufsrechts betrieben werden, sofern die städtebaulichen Ziele auf diese Weise zu verfolgen sind. Soweit die Theorie.

In der Praxis wird von diesen Instrumenten in unterschiedlicher Intensität Gebrauch gemacht. Allen voran hat die Stadt Berlin das Vorkaufsrecht der Kommune verstärkt ausgenutzt, um Mieterhöhungen zu verhindern. Diese wären möglich geworden, sobald der neue Eigentümer Sanierungen an den Bestandsimmobilien durchgeführt hätte. Aus der reinen Möglichkeit leitete die Stadt eine Wahrscheinlichkeit ab, dass sich die Struktur der Bevölkerung verändern könnte.

Den potenziellen Käufern wurde daher von den Stadtbezirken ein Weg eröffnet, dass Vorkaufsrecht abzuwenden: Sie sollten für 20 Jahre – und unter Androhung einer Vertragsstrafe – insbesondere darauf verzichten, die Wohnflächen neu aufzuteilen, zu modernisieren oder energetisch zu sanieren. Lehnten sie diese Vereinbarung ab, wurde den Käufern unterstellt, künftig die Ziele der Erhaltungssatzung zum Milieuschutz beeinträchtigen zu wollen. Die Folge: Das Vorkaufsrecht der Kommune wurde ausgeübt – und hier hatten oftmals die großen Wohnungsgesellschaften die Nase vorn. Diesem Vorgehen hat das BVerwG nun den Boden entzogen.


BVerwG: Vermutung reicht nicht aus – Fakten notwendig

Mit seinem Urteil vom 09.11.2021 (AZ: 4 C 1.20) stellt das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) klar, dass in diesen Fällen der Wortlaut des § 4 des Baugesetzbuches (BauGB) zum Tragen kommt. Und der schließt ein Vorkaufsrecht der Kommune aus, sofern das relevante Grundstück gegenwärtig entsprechend den Städtebaurichtlinien bebaut ist und genutzt wird. Statt Vermutungen über künftige Entwicklungen ins Feld zu führen, dürfe hier nur der jeweils aktuelle Zustand zur Beurteilung herangezogen werden. Damit ist das gemeindliche Vorkaufsrecht ausgebremst.

Allerdings gibt es durchaus Diskussionen um diese Entscheidung, die sich auch auf die Limitierung des Baugesetzbuches in Bezug auf den Milieuschutz bezieht: Eine Erhaltungssatzung sei nämlich kein Instrument zur aktiven Stadtentwicklung, sondern ziele in erster Linie darauf ab, Bestehendes zu erhalten. Umso wichtiger sei es, bei einem Verkauf von Bestandsimmobilien die Intentionen eines Immobilienkäufers mit zu berücksichtigen. Doch dies ist in den geltenden Vorschriften nicht ausdrücklich vorgesehen.

Fakt sei aber auch, dass allein die Vermutung einer zweckwidrigen Nutzung nicht ausreiche, um das Vorkaufsrecht auszuüben. Hier sei eine auf Tatsachen fußende begründete Annahme notwendig. Die könnte zum Beispiel der Kaufpreis liefern: Ist dieser so hoch angesetzt, dass die Wirtschaftlichkeit der Transaktion nur bei einer geänderten Nutzung realistisch wäre, dann wäre dies ein Anhaltspunkt. Eine andere Möglichkeit wäre gegeben, wenn der potenzielle Erwerber bereits andernorts wegen der Beeinträchtigung der Erhaltungsbestrebungen aufgefallen wäre. Dann wäre es sinnvoll, dass sich die Kommune nachweisen lässt, dass sich das Immobilienvorhaben nicht negativ auf die Erhaltungssatzung auswirken wird.


Strittig: Bezieht sich das BVerwG überhaupt auf das Vorkaufsrecht?

Diese Frage wird in der Literatur aufgeworfen und von wichtigen Stimmen verneint – und das aus gutem Grund: Das Baugesetzbuch (BauGB), auf das sich das BVerwG bezieht, taugt kaum als Instrument für den Milieuschutz. Unter dem Strich könnte die Kommune nämlich das Vorkaufsrecht erst dann ausüben, wenn schon zum Veräußerungszeitpunkt eine unsoziale Mietsituation vorherrscht – das kann nicht im Sinne der Städteentwicklung sein. Der Gemeinde stünden dann keinerlei sinnvolle Optionen mehr offen. Sie müsste einen unrentablen Kaufpreis bezahlen, um anschließend die Mieten zu senken.

Daraus leitet sich ab: Sofern ein Grundstück bereits im Sinne der Bevölkerungsstruktur genutzt wird, darf das Vorkaufsrecht also gar nicht greifen. Das BauGB sollte nicht dazu eingesetzt werden, um Wohnungsbestände als Selbstzweck zu kommunalisieren oder die Mietpreisentwicklung zu regulieren. Letztendlich lässt sich also festhalten: Das BVerwG hat dem kommunalen Vorkaufsrecht mit seiner Entscheidung wieder die ihm zustehende Funktion zugewiesen – nämlich die städtebauliche Entwicklung.

Allgemeine Regelungen zum Milieuschutz funktionieren bereits

Es gelten ohnehin schon strenge Regeln für Baumaßnahmen in Erhaltungsgebieten, die grundsätzlich der Erhaltungssatzung entsprechen müssen – sonst wird keine Genehmigung erteilt. Diese wird beispielsweise bereits dann abgelehnt, wenn sich in der Folge die Möglichkeit zur nicht nur geringfügigen Erhöhung der Mieten eröffnet – und das unabhängig davon, ob der Eigentümer dies tatsächlich vorhat. So soll die Verdrängung der aktuellen Mieter von vornherein unterbunden werden. Das bedeutet naturgemäß im Umkehrschluss, dass wichtige Modernisierungen und Sanierungen unterbleiben.

Für vermietete Gebäude in Erhaltungsgebieten taugt das Vorkaufsrecht demnach kaum, um die städtebaulichen Ziele zu erreichen. Allerdings stellt sich die Situation bei sogenannten Geisterhäusern oder unbebauten Grundstücken vollkommen anders dar: Diese städtebaulichen Missstände eröffnen insbesondere kommunalen Wohnungsbaugesellschaften die Chance, neue Wohnungen zu bauen, wenn die Gemeinde das Vorkaufsrecht ausübt. Hier bieten sich sogar Baugebote an, die zwar schwer umzusetzen sind, aber ausgesprochen zielführend wären.


Fazit

Die Entscheidung des BVerwG bringt endlich Klarheit in dieses Thema – und zeigt nicht nur den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften Grenzen auf. Die Instrumente zum Milieuschutz sollten sinnvoll eingesetzt werden, um die gesetzten Ziele auch erreichen zu können. Sollten Sie dazu noch Fragen haben, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung – rufen Sie uns einfach an.

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